Brief an Eltern 2004
Hermann-Josef Krämer
Schulstr. 35
88690 Unteruhldingen
An
Familie
Ernst und Wilma Krämer
Kölnsiche Höfe 66
56767 Kaperich
Betreff: Besuch im Juli
Liebe Leute,
ich sitz grad hier, die Arbeit wächst mir über´n Kopf und ich habe beschlossen euch endlich mal was zu sagen, was mir lange auf der Leber liegt. Wie wir alle wissen sollen wir nicht in der Vergangenheit leben und mir wurde aus diesem Grund von euch, meinem Chef und von vielen der Mund verboten. Ich stimme euch ja zu das diese Weise mit Problemen umzugehen ja in einigen Fällen sehr sinnvoll sein kann. Und ich respektiere eueren Wunsch auf Ruhe und Frieden.
Ich habe jetzt eingesehen, dass ich zum großen Teile Krank bin. Eine Einschränkung lasse ich mir offen: Ich denke nicht das ich manisch-depressive bin, da hierfür die depressiven Phasen viel zu kurz sind. Und wenn ich schon mal depressiv bin, dann hat das immer einen driftigen Grund. Nun is ja auch mal egal ich bin halt ein so genannter Maniker. Das lassen wir mal so stehen. Ich fragte mich in letzter Zeit, obwohl ich ja eigentlich alle Energie für die Diplomarbeit brauche, warum ich so krank geworden bin. Es ist keine Erbkrankheit die ich habe und bei mir sind durch mehrfache Untersuchungen keine körperlichen Defizite festgestellt worden. Die Erklärung von Papa dass mir ein Stoff fehlt und ich deshalb durchdrehe ist also völlig falsch. Tatsache ist aber das ich jetzt einen Stoff in meinem Körper habe, der mich verändert, der mich bestimmt. Ich habe mein Schicksal angenommen und werde diese Tabletten schlucken. Obwohl ich manchmal weinen könnte. Es ist so als ob mensch unsichtbare Handschellen trägt. Ich bin auf eine Stufe gestellt mit Triebtätern und Mördern, die die gleichen Medikamente bekommen wie ich. Ein weiterer Punkt ist der Stempel des SUIZIDS, den ich aufgedrückt bekommen habe. Ihr wisst doch alle, das keiner mehr Angst vor dem Tod hat als ich. Ich will doch die 100 Jahre Vom Großvater voll machen…..Mir gefällt das gar nicht als selbstmordgefährdet eingestuft zu sein. Das ist nicht gut für das Unterbewusstsein. Aber egal, da ich mich ja eh nicht umbringen werde, können wir das Thema abhacken.
Ich werde also Abschied nehmen von mir. Es fällt mir schwer, da ich eigentlich im Großen und Ganzen zufrieden mit mir war. Ich weiß, dass Mama gerne mit den Beispielen anderer Leute kommt, wie schlecht es denen geht und wie arm die Leute in Afrika dran sind. Bei allem Respekt für die Leidenden dieser Welt, ich bin auch einer von denen. Ich habe dank meiner Eltern genug zu Essen, ein Dach überm Kopf und habe alle Möglichkeiten von Euch bekommen. Und doch fühle ich mich leer und ausgebrannt. Da wir nicht von der Vergangenheit reden dürfen, kann ich euch nicht sagen was mich so GEISTESkrank gemacht hat. Viele Sachen wisst ihr ja ohnehin schon, obwohl ihr viele davon nicht wahr haben wollt. Is ja auch egal, ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Ich habe eine Sicht auf die Welt erlangt die mich krank gemacht hat. Es ist auf meinem eigenen Mist gewachsen. Ich habe die Türen aufgemacht die verboten sind. Und was ich da gesehen habe war gottgemachtes Grauen. Die Sicht auf die Dinge habe ich auch heute noch. Ich bin sehr sensibel und trage diese Brille der Erkenntnis. Ich kann sie nicht einfach ablegen. Ich werde damit leben. Und reden darf ich darüber nicht. Und die Medikamente lähmen mich und nehmen mir die Freude am Leben. Und so werde ich als kleiner Pharmazombie durch das Leben schreiten.
Ich komme einfach nicht über die Kälte hinweg, die mir in den letzten Jahren zu Teil geworden ist. Das war alles viel zu hart für mich. Doch ich lass die Vergangenheit ruhen. Ich weiß für die Zukunft, dass ich mich auf meine Familie und auf fast alle meine Verwandten nicht mehr verlassen kann. Nur Onkel Clemens und Heidi und einige meiner Freunde konnten mich verstehen und gaben mir Mut. Der Rest hat mich auflaufen lassen. Das tut heute noch weh. Aber für die Zukunft weiß ich nun an wen ich mich wenden kann und an wen nicht.
Ich passe nicht mehr in euer Leben, obwohl die Betäubung durch die Medikamente mich gefügig macht… Ihr wisst alle was ich für ein Familienmensch bin, doch ich kann nicht zurück. Auf so Leute kann ich nicht locker verzichten. Deshalb kann ich auch nicht auf die Hochzeit gehen. Wenn ich all die Leute sehe die mich im Stich gelassen haben, die mich verraten haben und bis aufs Messer provoziert haben, dann ist das weder für mich noch für euch gut.
Ich kann euch echt sagen dass mich mein jetziges jämmerliches Leben ankotzt bis zum Anschlag, diese ewige Jammerei. Mir ist, bedingt durchs Lithium fast alles Scheißegal. Ich bin dauernd müde und mir fehlt der Fuck (der Eifelfuck, der Antrieb, die Motivaton..nicht der FICK!!!). Ich muss mich jeden Tag zwingen, zwingen…und nicht die Freude an der Arbeit, sondern die Angst vor dem Versagen treibt mich an. Ich wollte so mit Freude das Leben leben, ….Statt dessen warte ich welche Umstände mich das nächste Mal in die Psychiatrie bringen. Ich komme mir vor wie ein Milliardengrab. Ein Projekt in das man nur reingesteckt hat und wo nix bei rumgekommen ist. Eine Totgeburt………
Verdammt was hatte ich für Ideen und Träume. Was bleibt mir, ich versuche jetzt bei Plocher Fuss zu fassen, obwohl ich langsam den Glauben verliere. Die Firma steht am Abgrund, die Ökoträumerei ist vorbei. Was zählt ist knallharter Turbokapitalismus. Ich kann noch nicht mal abhauen, weil ich an euch allen hänge. Das ist zwar nicht normal, aber ich bin ja auch ver-rückt.
Ich bin aber auch stolz, stolz das ich meinen langjährigen Peinigern (nicht Mama und Papa!!) verzeihen konnte. Es klappt ja ganz gut, besser wärs vielleicht wenn sich die Kerle mal anständig entschuldigen würden. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Aber diese Dinge brauchen Zeit.
So ihr Lieben, jetzt wisst ihr warum ich nicht zu der Eheschließung von Manuela kommen kann. Ich nutze die Zeit und zwinge mich an den Schreibtisch, am Abend gehe ich dann mit Werner auf das Hafenfest.
Ich hab ganz schön Bammel vor der Diplomarbeit und ich hoffe ich schaffe das alles rechtzeitig fertig wird.
Ich habe euch ganz doll lieb und vermisse euch ohne Ende. Ich hoffe, dass meine kleinen Neffen nicht diese harte Schule durchleben müssen wie ich. Ich bin daran zerbrochen. Na ja, ich bin ja noch da. Ich glaube nicht an Schicksal. Und es kommt auch keine gute Fee und schwingt ihren Zauberstab…..Nein, es gibt nur ein Gesetz auf der Welt und das lautet:
Et kütt, bie et kütt
und daran gibt es nicht zu rütteln. Die sorglosen Kindertage sind schon sehr lange vorbei. Was kommt ist eine Folge von erfolgreich gemeisterten Misserfolgen. Von Reinhard Mey gibt es ein paar schöne Lieder die mir einfallen, auch vom Hannes Wader….Ach wenn ich „meine“ Lieder nicht hätte.
Ich wünsche euch allen einen schönen Feiertag, trinkt ein paar Bierchen für mich mit. Wir sind ja per Telefon immer im Kontakt. Nehmt den Brief nicht so ernst, ich bin heute ganz schon mies drauf. Der Psychiater hat mich irgendwie runtergezogen. Und natürlich fehlen mir meine Freunde und ein nettes Mädel…….oder zwei ; )
Also bis de Dach
Euer
Hermonizer