Mail an Thomas 2006

 

Hola Thomas,

 

du hast ganz Recht, Ringelpiez mit Anfassen ist nix für uns Beide. Ab und zu mal ein Stück Quetschekoche mit Schlag, das ist aber nun wieder was Feines 😉

Ne, mal Spass beiseite….Über 90% der Leute die ich bisher befragt habe, waren gegen eine Übersiedlung nach Köln. Zum einen weil sie befürchten, die Reize (Mädels, Autos, Werbung etc.) könnten mich überfordern, zum anderen aber auch wegen Dir.

Thomas, wir beide haben eine lange Geschichte hinter uns. Ich brauch dir die Schlachtfelder unserer Beziehung nicht zu zeigen, denn du warst live dabei. Aber ich denke mir, wenn z.B. Frankreich und Deutschland sich nach dem WWII wieder vertragen konnten, wenn sich der Karl und der Franz mit über 80 vertragen konnten, warum sollten wir beide das nicht schaffen. Ich mache mir viele Gedanken. Und einer dieser Gedanken ist ein friedliches Miteinander von uns beiden in Köln. Jeder geht seiner eigenen Wege, aber es gibt Schnittpunkte. Im Endeffekt geht es mir nur darum, dass du ein Auge auf meine Stimmung wirfst. Wenn du merkst, dass ich wieder am Hoch gehen bin, dann bist du gefordert und mir mit aller Dringlichkeit zu sagen, dass es Zeit ist in die Klinik zu gehen. Das du das auf die harte Tour kannst, das hast du mehr als einmal bewiesen. Nun geht es darum einen Weg zu finden das sanft und brüderlich zu machen. Der entscheidende Faktor ist hierbei der Zeitpunkt. Wenn ich manisch werde, dann kündigt das sich ja ca. 2 Wochen durch ein überfreudiges Verhalten meinerseits an. Dann sollst du zuschlagen und mir z.B. den Patientenvertrag unter die koksgleiche Nase halten. In so einem Vertrag habe ICH unterschrieben, dass ich in die Klinik gehe, wenn es wieder so weit ist. Ich bin hier unten gerade dabei den Vertrag mit meinem psychosozialen Dienst zu machen. Tom, ich werde in Köln selbstverständlich auch einen psychosozialen Dienst haben, der mich betreut. Die ganze Verantwortung liegt also nicht bei dir, du bist die Verstärkung die ich brauche um ein würdiges Leben zu haben. Und Tom, ich hoffe ja, dass diese Ereignisse weniger werden. Mein Ziel ist es, nur alle 5-6 Jahre eine Manie zu bekommen, oder gar länger. Dummerweise habe ich gelesen, das bei manisch-depressiven die Abstände mit zunehmendem Alter kürzer werden, aber ich weiß nicht, ob das auch für unipolar manische Leute gilt. Der Dr. Oehl hat nämlich gesagt, dass ich mit ziemlicher Sicherheit unipolar manisch bin. D.h. das bei mir die Manie überwiegt und es nicht zu depressiven Phasen kommt. Ich bin jetzt schon 5 mal Manisch geworden, aber erst 1 mal Depressiv. Es spricht also einiges dafür, dass ich die mildere Form der Unipolarität habe.

Ach Tom, ich höre grad den guten alten L. Cohen. Ich werd ihn wohl niemals Live sehen. Es war immer mein Wunsch ihn einmal zu sehen. In meinem jugendlichen Leichtsinn dachte ich mir, ich als Ingenieur werde genug Geld verdienen um nach Kanada in Urlaub fliegen zu können und den Lennie mal zu besuchen. Tom, so viele Träume sind zerplatzt…..Ich muss einfach rauskommen aus der Abwärtsspirale. Ich darf der Krankheit nicht so viel Spiel einräumen. Ich brauche Aufgaben, die mich ausfüllen und ein soziales Umfeld das mich erfüllt. Und ja, ich lass von dem Gedanken an eine Freundin nicht ab. Weißt du wie gerne ich noch mal die nackte Haut einer schönen Frau berühren will. Wie sehr ich mich danach sehne zu küssen, bis beider Speichel die Wangen runterrinnt. Wilden, leidenschaftlichen Sex in freier Natur??? Du als alter Südamerikatourist weißt ja zu genüge was das heißt. Deine emails sprachen ja sogar von einem Überdruß an sexueller Betätigung 😉 😉

Ich habe ein Recht, das mir vom Leben gegeben wurde, mit einer Frau liebevoll und frei zu leben!!!!!!?

Obwohl eine Bekannte gesagt hat, dass ich unter den „normalen“ Frauen keine finden werde, die meine Krankheit mitmacht. Sie meinte ich solle mir bei den Waldorfleuten ne Frau suchen, weil die ja so schön verständnisvoll seien. Man muss dazu sagen, das Sarah 19 ist.

Tom, hey ist das nicht krank: Ich bin an einer Sexualneurose erkrankt, Sie und die genetische Prädisposition haben zum Ausbruch meiner Manie geführt. Und nun soll mir das Heilmittel verwehrt sein, eine gesunde und lebensbejahende Sexualität??? Es ist zum verzweifeln. Und ich MUSS dich jetzt mit Reich nerven, bitte vergib mir. Es sind keine Heilslehren, sondern Lösungsansätze um meine Krankheit zu verstehen und evt. zu mildern. Gegen eine genetische Vorbelastung kann man nichts tun, aber gegen Probleme aus dem psychosozialen Umfeld schon.

Tom, ich weiß, du willst wie die meisten nichts davon wissen. Aber glaub mir, die Sexualfrage wird eine der entscheidensten Fragen sein, der sich unsere Generation stellen wird. Schau dir mal an, wie viel Prozent unserer Kumpels in einer erfüllenden, freudevollen Sexualbeziehung stehen. Ich sehe da einen Haufen Singles und diejenigen die in ner Beziehung sind, verhalten sich verkrampft und oft unfair zueinander. Leb- und Lieblos trifft die Situation am Besten. Natürlich gibt es da auch die Soliden Ehen wie Christoph sie führt, auf Vernunft basierend. Aber Tom, hey…..kennst du Beziehungen, die richtig überwiegend harmonisch verlaufen. Ich meine, wir haben genug zu fressen, haben Unterhaltung, haben was zu tun und trotzdem hört man nur von Stress: beim Marco, beim Ewald, beim Jürgen, beim Marcel, beim AlexS, bei Dir und bei mir. Und mit Verlaub, diese „Nichtangriffspaktehen“ wie Rainer und Bernd sie führen sind eine Schande. Die armen Kerle dürfen sich nicht regen und werden gehalten wie Kaninchen!!! Wusstest du schon, dass Rita und Ela ähnliche Probleme haben wie Heike mit ihrer Lust???? Als ich das gehört habe wurde mir einiges klar. Und Tom….. Wir sind keine Ausnahme…wir sind die Regel!!!!!

Hier mal ein „kleines“ Zitat von Wilhelm Reich:

(hab ich selber abgetippt, nur für Dich 😉

 

Die Theorie der sexualökonomischen Lebensforschung ist in wenigen Sätzen zu fassen:

Die seelische Gesundheit hängt von der orgastischen Potenz ab, das heißt vom Ausmaß der Hingabe- und Erlebnisfähigkeit am Höhepunkt der sexuellen Erregung im natürlichen Geschlechtsakt. Ihre Grundlage bildet die unneurotische charakterliche Haltung der Liebesfähigkeit. Die seelischen Erkrankungen sind Folgen der Störung der natürlichen Liebesfähigkeit. Bei orgastischer Impotenz, unter der die überwiegende Mehrzahl der Menschen leidet, entstehen Stauungen biologischer Energie, die zu Quellen irrationaler Handlungen werden. Die Heilung der seelischen Störungen fordert in erster Linie die Herstellung der natürlichen Liebesfähigkeit. Sie ist von sozialen Bedingungen ebenso abhängig wie von psychischen.

Die seelischen Krankheiten sind Ergebnisse der gesellschaftlichen Sexualunordnung. Diese Unordnung hat seit Jahrtausenden die Funktion, die Menschen den jeweils vorhandenen Seinsbedingungen psychisch zu unterwerfen, die äußere Mechanisierung des Lebens zu verinnerlichen. Sie dient der seelischen Verankerung der mechanisierten und autoritären Zivilisation durch Verunselbstständigung der Menschen.

Die Lebenskräfte regeln sich natürlicherweise selbst ohne Zwangspflicht oder Zwangsmoral; beide sind sichere Anzeichen für vorhandene anti-soziale Regungen. Die antisozialen Handlungen entstammen sekundären, durch die Unterdrückung des natürlichen Lebens entstandenen Trieben, die der natürlichen Sexualität widersprechen.

Der lebens- und sexualverneinend erzogene Mensch erwirbt eine LUSTANGST, die physiologisch in chronischen Muskelpanzerungen verankert ist. Die neurotische Lustangst ist die Grundlage der Reproduktion der lebensverneinenden, Diktatur begründenden Weltanschauungen durch die Menschen selbst. Sie ist der Kern der Angst vor selbstständiger, freiheitlicher Lebensführung. Dies wird die wichtigste Kraftquelle jeder Art politischer Reaktion, der Herrschaft von Einzelpersonen oder Gruppen über die Mehrheit der arbeitenden Menschen. Sie ist bio-physiologische Angst und bildet das Kernproblem des psycho-somatischen Forschungsgebietes. Sie war bisher das größte Hindernis im erforschen der unwillkürlichen Lebensfunktionen, die der neurotische Mensch nur unheimlich und angstvoll erleben kann.

Die charakterliche Struktur des heutigen Menschen, der eine sechstausend Jahre alte patriachalisch-autoritäre Kultur fortpflanzt, ist durch charakterliche Panzerung gegen die innere Natur und gegen die äußere gesellschaftliche Misere gekennzeichnet. Sie ist die Grundlage von Vereinsamung, Hilfsbedürftigkeit, Autoritätssucht, Angst vor Verantwortung, mystischer Sehnsucht, sexuellem Elend, neurotisch-hilfloser Rebellion ebenso wie krankhaft-widernatürlicher Duldsamkeit. Die Menschen haben sich dem Lebendigen in sich feindselig entfremdet. Diese Entfremdung ist nicht biologischen, sondern sozial ökonomischen Ursprungs. Sie fehlt in den Stadien der Menschheitsgeschichte vor der Entwicklung des Patriarchats.

An die Stelle der natürlichen Arbeitsfreude und Tätigkeit ist seitdem die Zwangspflicht getreten. Die durchschnittliche Struktur der Menschenmasse veränderte sich im Sinne der Ohnmacht und Lebensangst, so dass autoritäre Diktaturen sich nicht nur durchsetzen, sondern sogar mit Berufung auf vorhandene menschliche Haltungen, wie Verantwortungslosigkeit und Kindlichkeit, rechtfertigen können. Die internationale Katastrophe, die wir durchleben, ist die äußerste Konsequenz dieser Lebensentfremdung.

Die Zentralstelle der autoritären Strukturierung der Menschenmasse ist nicht die natürliche Elternliebe, sondern die autoritäre Familie. Ihr Hauptmittel ist die Unterdrückung der Geschlechtlichkeit des Kleinkindes und des Puberilen.

Natur und Kultur, Trieb und Moral, Sexualität und Leistung wurden infolge der Spaltung der Menschenstruktur unvereinbar. Die von jeher ersehnte Einheit und Widerspruchslosigkeit von Kultur und Natur, Arbeit und Liebe, Moral und Geschlechtlichkeit bleibt ein Traum, solange die Menschen die biologische Anforderung der natürlichen (orgastischen) Sexualbefriedigung nicht zulassen. Solange bleiben auch echte Demokratie und verantwortungsbewusste Freiheit Illusion. Hilflose Unterwerfung unter die chaotischen gesellschaftlichen Umstände prägen die menschliche Existenz. Es herrscht die Tötung des Lebendigen in Zwangserziehung und Krieg.

 

Ich hoffe jetzt wird dir klar, wovon ich die ganze Zeit rede. Thomas, ich will kein sexualverneinnender Zombie mehr sein. DU meinst ich solle das Pferd von hinten aufzäumen und erst mal Job, dann Auto, dann Haus…und dann kann man erst mal über ne Frau nachdenken. Tom, ich glaub ich pack das nicht. Der Günther Stracke hat mal gesagt, als ich mit Simone zusammen war und es dem Ende zuging: Wer einmal aus dem Blechnapf leckt…… Und genau das ist es. Ich habe mit Simone die Heilkraft der Sexualität erfahren. Keine volle Sexualität im Sinne von Reich, aber eine Ahnung von dem was möglich ist. Ich war zu der Zeit kreativ ohne Ende. Habe meinen ersten Brief an Roland geschrieben, hab meine Mahnschrift an alle Freiheitsliebenden verfasst, usw. Tom, es war geil, ich hatte richtig viel Sex….na gut, du weißt ja wie bitter es zu Ende gegangen ist. Simone litt am Borderline Syndrom und an Bulemie und da ist es nun mal so, dass sie keine Nähe zulassen konnte. Aber ich habe gekämpft wie ein Werwolf um sie. War sie vorher mit einem ihrer zahlreichen Kerle für höchstens 4 Wochen zusammen, so war sie mit mir immerhin 9 Monate zusammen. Und ich habe sie immer daran erinnert, dass sie lieben kann…. Und was soll ich sagen….mit deinem Klassenkameraden ist sie immer noch zusammen. Mit Heike dasselbe. Auch eine Sexualneurose…..die ich mit meinen kleinen Mitteln zwar nicht geheilt, aber deutlich abgemildert habe. Heike kann heute weibliche Sexualität spüren, wo vorher nur Schmerzen und Angst waren….

Warum erzähl ich dir das????? Vielleicht will ich, dass du siehst, dass ich auch mal Menschen geholfen habe, die in Not waren und die sich selber aufgegeben haben!!!!! Ich hatte im Nachhinein keinen „Nutzen“ von der „Arbeit“, aber ich habe es trotzdem getan: WEIL es getan werden MUSS.

Ich finde es aber ok von Dir wenn du sagst, dass du in erster Linie deinen eigenen Film fährst. Ich verlange echt sehr viel von Dir, dass weiß ich, aber tu es gern Bruder. Vielleicht gibt es doch noch Heilung für meine Krankheit…..Ok, das war jetzt nur ein Traum, aber was soll ich machen???? Mich umbringen ist keine Lösung, ich sterbe ohnehin schon viel früher als eigentlich geplant, da muss ich nicht noch künstlich nachhelfen. Ich muss es schaffen mir ein sicheres, unauffälliges Netz aufzubauen, was mich beobachtet und im rechtzeitigen Augenblick ins Trockene schafft. So kann es sein, dass ich auch noch ein lebenswertes Leben führen kann.

Tom, ich würde so gerne nach Köln kommen, ich bin den Bodensee so leid. Die Menschen hier sind schrecklich. Ich muss aber sicher sein, dass du es ernst meinst mit mir. Wie gesagt, mit so wenig Arbeit und Nervenverlust für dich wie möglich. Ich ziehe mich soweit zurück wie es geht. Ich hab dich jetzt schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen, da reicht es mir in Köln wenn wir uns 2 oder 3 mal im Monat sehen. Ich denke aber, dass wir uns gut verstehen und dass wir uns dann öfters mal zum Fernsehgucken oder Kochen treffen. Auch würde ich gerne mit dir Laufen gehen. Ich wär zwar anfänglich Ballast für deinen durchtrainierten Körper, aber ich bin zäh wenn ich motiviert werde. Und was motiviert mehr als der kleine Bruder dem man es beweisen will 😉

Tom, mir fallen gerade unsere Tage in Köln ein, als ich dich nach der Münster Klinik besucht habe. Tom, das war das Schönste was mir in diesem Jahr passiert ist. Es war so GUT bei dir zu sein. OK, du hast so ein wenig den autoritären raushängen lassen, aber das sei dir mit Hinblick auf Besserung verziehen 😉

 

Ach Tom, ich wünsche mir so sehr, dass ich in Köln einen Beruf finde, den ich bewältigen kann. Ich werde mir beim Roland in den nächsten Monaten etwas Selbstvertrauen aufbauen und dann mutig nach Köln schauen..

 

So, das war jetzt ne lange Mail….

Beantworte mir nur eine Frage:

Schaffen wir beide uns mit Achtung und Liebe zu begegnen?

 

Bis bald, und ruf an wenn du Lust hast

 

Dein Hermann