Fixierung II 2011

 

[2011 – Fixierung]

Ich habe gefleht: „Bitte, machen Sie mich los!“ Und ich habe geschrien, geheult und was weiß ich nicht alles, aber die hat mich nur angeguckt. Das war so ein riesen großer Fleischberg, und die hat mich nur so angeguckt. Und, gut, dann habe ich freche Kommentare losgelassen von wegen adipöse Krankenschwester und ich weiß gar nicht mehr, was ich da so alles so erzählt habe, dass sie ihre aufgestaute Sexualfrustration nicht an den Patienten loslassen sollte und so und ich könnte doch überhaupt gar nichts machen, sie sollte mich endlich losmachen.

Da hast du ja Todespanik, ich meine, wenn du drei Tage auf einem Flur liegst und bist fixiert, das ist Horror, das ist wie ein Alptraum. Da ist ja jede Sekunde gespeichert, das ist wie ein beständiger Schmerz. Es ist ja nicht so, dass du liegst und du stellst fest, du bist fixiert, du kannst nichts machen, entspanne dich. Sondern das ist eine ständige Attacke, das ist so, als kriegtest du permanent Strom durchs Gehirn geleitet, das ist ja das Lustige an der Sache. Das ist ja kein Ding, das aufhört oder in seiner Intensität nachlässt, sondern sobald du dich nur ein bisschen bewegst spürst du ja wieder die Fixierung. Und dann, klar, schreit man zu den Schwestern, holt mich hier raus und Hilfe und ich will einen Anwalt und blablabla. Die meiste Zeit ist man aber mit seiner Todesangst beschäftigt.

Als wir in der Psychiatrie angekommen waren, bin ich durch die ganze Psychiatrie gejoggt, im Laufschritt, so zack, zack, zack. Ich fand das noch ganz lustig, ich hab mir gesagt: Hermann, du bist hier in einem Film, das ist doch nicht real, gleich kommt die riesen Tombola, und du hast gewonnen … Und dann: zackdibum, Türe zu, und dann schwarz. Meine Betreuerin hat mir im Nachhinein erzählt, ich wäre angekommen und die hätten zu mir gesagt: ok, es gibt jetzt hier Medikamente, Haldol, blablabla, und ich hätte gesagt: nein, die Scheiße nehm ich nicht, will ich nicht. Panik, ich kenne die Prozedur ja. Und ich hätte dann dieses Gläschen mit dem Haldol genommen und meine Trainingshose aufgezogen und mir das Zeugs in die Hose reingeschüttet, und das wäre es dann gewesen. Dann hätten die Pfleger mich gepackt, weil, wer die Medikamente verweigert, wird zur Strafe fixiert. Das ist das Ding. Also von Eigen- und Fremdgefährdung kann keine Rede sein.

Später hat diese Zwangsfixierung noch einige Kreise gezogen. Weil ich ja durch die Intervention von Rechtsanwalt Dr. Wähner entlassen werden mußte, und ich bin danach noch einmal mit jemandem vom sozialpsychiatrischen Dienst in die Klinik gefahren, und dort haben wir mit dem Oberarzt und mit der behandelnden Ärztin geredet. Und die haben dann natürlich versucht zu sagen: „Ja, Sie waren ja fremdgefährdend …“, Fremdgefährdend? Nur weil man die Wahrheit sagt, dass man keine Zwangsbehandlung will, dass man Angst hat, dass man keine Medikamente nimmt und so weiter? „Ja es hätte ja sein können, dass Sie dann, irgendwie …“, keine Ahnung was. Ich verstehe diesen Wahnsinn nicht. Also die drängen einen Menschen total in die Ecke, sagen: „Du nimmst jetzt und schluckst.“

Ich hatte diese Situation ja schon gehabt, ich war in die Psychiatrie gekommen und habe mir gesagt: ok, bleib ruhig, bleib ruhig. Dann haben die gesagt: „Entweder schlucken Sie jetzt Medikament oder Sie werden fixiert.“ Erpressung. Die haben das Bett rausgezogen aus dem Krankenzimmer und haben gesagt: „Hier, Herr Krämer …“, es wurden immer mehr Pfleger, von der Station kamen immer mehr, immer mehr. „Entweder schlucken Sie jetzt hier das Dings …“, da habe ich gesagt: nein, ich will erst mit dem Oberarzt reden, ich bin relativ ruhig, ich gehe zur Not auch in die Isozelle, aber ich will nicht fixiert werden und ich will auch nichts von dem Dreckszeug schlucken, was mein Gehirn noch weiter kaputt macht. Ich habe genug von diesen Psychopharmaka. Ich habe mein Leben lang die Finger von Drogen lassen, jetzt muss ich mir nicht von so einem Scheißdreck mein Gehirn zerstören lassen, muss ich da nicht drauf hängen bleiben. Ja und dann ging das so weit, dass die gesagt haben: „Entweder schlucken Sie, oder SIe werden fixiert.“ Und dann bambambam, immer mehr, immer mehr Pfleger. Ich dann irgendwann aus Angst, heulend, gesagt: ok, ich schlucke, das Zeug. Habs geschluckt, und in dem Moment greifen die mich und zack, wieder fixiert. Wieder für ein, zwei Tage.

Und das sind einfach Qualen, die vergisst man nicht. Das vergisst man nicht. Das ist wie ein Hund, der einmal geschlagen worden ist, der vergisst das nicht. Und wenn dann die Situation wieder kommt, dann kriege ich Panik. Und dann schreiben diese Hurensöhne in ihren Bericht rein: affektive Gereiztheit und deuten das als Fremdgefährdung. Das ist wie eine vergewaltigte Frau oder was weiß ich, wie einer, der durchs KZ gegangen ist, dem das alles wieder hochkommt in einem erinnernden Moment: der dreht einfach durch, logisch, der schreit und kämpft um sein Leben. Der wird natürlich „affektiv gereizt“. Und dann wird gesagt: „Ja klar, ist klar, sicher … fixieren, Medikamente, kein Problem, nur zu“. Da kann man nicht locker bleiben, du hast einfach Todesangst, weil du wirst da tatsächlich mit dem Tod konfrontiert. Nichts anderes ist das. Wenn ich wirklich fremdgefährdend wäre, wenn so Sachen wirklich vorkommen, ok, dann ließe ich mir so was noch gefallen oder Isozelle, aber einfach nur so, weil man sich weigert Medikamente zu nehmen und weil man einfach Todesangst hat, eben genau vor der Fixierung, deshalb zu fixieren: das ist ja wirklich pervers.

Mein Onkel hat in der Psychiatrie gearbeitet, und die haben schon oft eine Kaffeetasse oder so über den Kopf bekommen, in der Forensik hat der gearbeitet. Klar, sicher, wenn ich gewaltsam geworden wäre oder hätte die Schwestern am Kragen gepackt oder hätte die geschlagen oder geboxt und gespuckt und gekeift, dann hätte ich verstehen können. Aber ich habe ja gewimmert, ich habe teilweise schon in der Psychiatrie gelegen, habe am Boden gelegen, habe gefleht und was weiß ich nicht alles, die allermöglichsten Unterwürfigkeitsposen und Gestiken und Mimiken gemacht, die mir aus dem Tier- und Menschenreich überhaupt bewusst sind, und keine Gnade, null. Wenn die den Auftrag haben zu fixieren, dann ist das wie bei Jägern, die Wild vor der Flinte haben. Da kommt bei denen so eine Geilheit hoch, eine Fixier-Geilheit, das müssen die auch machen, weil, anders kriegen die den Job nicht geregelt. Und nachher, am Schluss sagen sie „Ja, ist ja notwendig“ und so. Und dann schreist du natürlich und machst und tust. Das ist eine ganz perverse Sache mit dieser Fixierung. Und mit diesen Hirnschocks, durch diese starken Psychopharmaka-Gaben, das ist ja …. das ist ja gespeichert, das ist in der Seele gespeichert, das ist im Unterbewusstsein gespeichert, das ist sofort abrufbar. Das ist wie, keine Ahnung, das ist wie ein Gefühl was, klack, innerhalb einer Sekunde wieder vollkommen präsent ist, zu 100 Prozent auf allen Bildschirmen, die man so in der Wahrnehmung hat, und dann kommt halt sofort wieder Panik hoch. Teilweise auch draußen, im Alltag: z.B. wenn ich einen Bullenwagen vorbeifahren sehe, da geht mir direkt die Pumpe hoch…